Wie verändern sich kulturelle Orte in Tempelhof? Kultur bringt Menschen zusammen. Ob in Büchern, Ausstellungen, bei Konzerten, Lesungen oder Sprachkursen – überall lässt sich Neues entdecken. Auch die Bibliothek in Tempelhof hat sich immer wieder neu erfunden.
„Einen öffentlichen Ort von Allen schaffen“
Vergangenheit und Zukunft der Bibliothek: Wie fühlt sich die Bibliothek an und warum kommen die Menschen hierher? Hier hören Sie Stimmen von Besuchenden, Mitarbeitenden und Planenden eines Ortes der Bücher, Begegnungen und Nachbarschaftlichkeit.
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Der Autor Tom Müller schrieb in der Tempelhofer Bezirk-Zentralbibliothek seinen Roman „Die jüngsten Tage“, erschienen im Rowohlt Verlag, und hat sich Gedanken über den Ort und die Bibliothek gemacht.
„Den Ort zu finden, an dem man gut schreiben kann, kann für das Gelingen eines Buches entscheidend sein. Denn immer dann, wenn der Schreibfluss ins Stocken gerät, tritt die Umgebung in den Vordergrund. An einem Tag war ich zu hibbelig und konnte mich nicht auf die nächste Szene konzentrieren. Dann half mir der Blick hinaus zu den hohen Bäumen und dem Spiel des Lichts. Anderntags war ich zu müde, aber das Klackern der Tastaturen und neugieriges Flüstern half mir, mich aufzuraffen und weiterzumachen. Ich empfinde es als große Freiheit, schlicht mit einem „Guten Tag“ eintreten und mich an einen freien Platz setzen zu können, umgeben von Büchern und Menschen, mit Blick ins Grüne. Manche Besucher habe ich im Laufe der Zeit kennengelernt, habe einem geflüchteten Neuberliner beim Lebenslaufschreiben assistiert, saß häufig neben einem älteren, vermutlich afroamerikanischen Herrn, der sich mit großer Ausdauer Französisch beibrachte. Ich kam am späten Vormittag, schrieb es in den frühen Abend und ging zufrieden nach Hause. Egal, mit welchem Gefühl ich in dieser Zeit erwachte, zuversichtlich oder pessimistisch, was mein Buch betraf, ich wusste immer, dass ich es erst mal nur bis in die Bibliothek schaffen musste, und dort würde sich alles schon fügen.“
„Mein Name ist Boryano Rickum und ich bin der Leiter der öffentlichen Bibliotheken im Bezirk Tempelhof Schöneberg. Ich selbst wohne in Pankow und arbeite hier in Tempelhof-Schöneberg, damit auch in Tempelhof. Ich hatte aber, bevor ich hier angefangen habe zu arbeiten, schon fachlich immer wieder mit Tempelhof zu tun, noch in meiner Zeit, wo ich Referendar in der Zentral- und Landesbibliothek gewesen bin, – und als es zu der Zeit noch darum ging, dass diese Bibliothek auf dem Tempelhofer Feld einen Neubau bekommt. Daraus ist nichts geworden. Umso mehr freue ich mich, dass ich dennoch die Möglichkeit habe, an einem Bibliotheks- und Kulturneubau-Thema in Tempelhof mitwirken zu können. Wir wissen, dass die Frage, wie gut Zusammenleben, Nachbarschaftlichkeit und Gemeinschaft im Bezirk und im Kiez funktioniert, wesentlich davon abhängt, ob es und wenn ja, welche Form von öffentlichen Orten es in dem Bezirk und dem Kiez auch gibt. Vor dem Hintergrund planen wir auch den Neubau im Kontext der Neuen Mitte Tempelhof. Es ist uns wirklich wichtig, hier einen öffentlichen Ort von allen zu schaffen, den wir so auch als “Dritten Ort” bezeichnen, das heißt: Einen Ort, der existiert hier für alle Menschen neben dem eigenen Zuhause und dem Arbeits- oder Ausbildungsort. „
„Mein Name ist Marianne Schinski, Mitarbeiterin der Bibliothek. Und mir gefällt, dass unsere Bibliothek in Tempelhof im Grünen liegt. Für den neuen Kulturort wünsche ich mir, dass wir ein offenes Haus sind – weiterhin im Grünen – der Gestaltungsraum für die Tempelhofer und Tempelhoferinnen bietet.“
Zwei Fragen an Michael Ruhnke, Leiter der Bezirkszentralbibliothek in Tempelhof.
Was bleibt vom alten Haus?
„Also ich würde sagen: Erst mal alles, was diese Bibliothek schon immer besuchenswert gemacht hat. Also unsere Ausstattung (das Mobiliar werden wir mitnehmen, unsere Pflanzen), der Service als solches, den wir unseren Kunden anbieten, soll weiterhin natürlich bestehen bleiben und ausgebaut werden. Und natürlich die rund 90.000 Medien. Des Weiteren haben wir noch ein Originalmodell des Gebäudes aus dem Entstehungsjahr 1978. Und das wollen wir natürlich auch gerne mit umziehen lassen als Erinnerung. Und last but not least dürfen wir natürlich nicht das Team im Hause vergessen. Die Kolleginnen und Kollegen freuen sich natürlich alle sehr auf ein modernes, zeitgemäßes Gebäude mit viel, viel, viel mehr Möglichkeiten, viel mehr Platz, viel mehr Räumen, um ihre Ideen und Konzepte für eine neue moderne Bibliothek und ihre Nutzung realisieren zu können. Und natürlich freuen wir uns alle auf einen fulminanten Neustart.
Die Zentralbibliothek ist der größte Standort im Bezirk. Neben der großen Sammlung von über 90.000 Leihmedien ist sie gleichzeitig ein Beispiel besonderer Architektur. Ihr Architekt Bodo Fleischer war ein von Schüler Hans Scharoun, dem berühmten Erbauer der Staatsbibliothek am Kulturforum. Fleischers Bibliothek in Tempelhof greift Scharouns Stil auf und wird auch deshalb oft als „kleine Stabi“ bezeichnet. Die offenen Ebenen und Emporen im Inneren bestimmen die Architektur und Atmosphäre der Bibliothek. 1978 wurde sie an der Götzstraße errichtet. Sie fasst die Bestände früherer Bibliotheken zusammen. Vorgängerinstitutionen gab es einige im Bezirk Tempelhof: Beispielsweise befand sich ab 1953 die Amerikanische Lesestube des Amerikahauses in Tempelhof, ebenso gab es eine Jugendbücherei, die ab 1976 in einem modernen Bauhaus-Bau untergebracht war. Wie in vielen Berliner Außenbezirken fährt auch hier ein Bücherbus. 1967 wurde diese rollende Bücherei in Betrieb genommen, seit 2020 ist sie in einem modernen barrierefreien Bus unterwegs.
Der Bezirk und die Nutzungsansprüche verändern sich: In einem langfristigen Umbauprozess, der 2016 begann, wird das Gebiet neu strukturiert. Es soll den aktuellen Bedarfen der Bevölkerung und der wachsenden Verwaltung gerecht werden. Für die bestehenden, stark sanierungsbedürftigen Einrichtungen werden neue öffentliche Gebäude errichtet. Sie sollen eine Qualifizierung und Erweiterung des Angebots, unter anderem durch mehr Platz, ermöglichen. Das Werkstattverfahren war als mehrstufiger Dialog angelegt, in dessen Verlauf vier Teams parallel Ideen entworfen haben. In regelmäßigen Abständen konnte die Bevölkerung, politische Gremien und weitere lokale Interessengruppen, deren Gelände im Umbaugebiet liegt, Feedback geben. Der Gewinnerentwurf zeichnet das Bild eines grünen Quartiers, das Raum für Kultur, Öffentlichkeit und Miteinander bietet.
Veränderungen bringen auch Abschiede mit sich: Es ist vorgesehen, das Stadtbad sowie das Polizeiquartier abzureißen und an anderer Stelle neu zu bauen. Die Bibliothek soll Teil eines neuen Kulturgebäudes werden, in welchem auch Angebote der Volkshochschule, der Musikschule sowie der kommunalen Galerien und Museen vorgesehen sind. Ziel ist es, ein neues Wohnquartier zu schaffen, das allen Generationen ein kulturelles und soziales Miteinander ermöglichen möchte. Zusammen mit der Bevölkerung haben Bezirk und Senatsverwaltung diese Pläne im Rahmen eines offenen Werkstattverfahrens entwickelt. Die kommenden Jahre könnten in Bezug auf den Stadtteil noch weitere städteplanerische Veränderungen mit sich bringen: Das historisch bedeutende Wenckebach-Klinikum von 1878 könnte ebenfalls einen Standortwechsel erfahren. Das Klinikum wurde im 19. Jahrhundert von Martin Gropius errichtet, dem Großonkel des späteren Bauhaus-Direktors Walter Gropius. Zusammen mit Heino Schmieden entwarf Gropius einen Bau, der sich an Karl Friedrich Schinkels Materialität anlehnte: Die lose verteilten Bauten des Klinikums mit viel Grün und Licht sind in Backstein-Optik gehalten, die vor allem Schinkel geprägt hatte. Sie beherbergten zunächst das II. Garnison-Lazarett des Militärs.