Kreideweiß

Wo wurde in Tempelhof getanzt? Das Dorf Tempelhof war ein beliebtes Ausflugsziel für die Städter. Sie kamen „aus der Stadt“ zum Vergnügen in die zahlreichen Lokale. Als Erinnerung schickten sie schon mal eine Postkarte nach Mitte!

„Mitte der 1920er Jahre und es ist Wochenende…“

Amüsement in Tempelhof: Eventmanagerin Else Edelstahl und Autor Arne Krasting nehmen uns mit auf eine Zeitreise zu den Ausflugslokalen im Tempelhof vor 100 Jahren, wo Ballsäle, Kinematographen, Kegelbahnen und Badeanstalten die Amüsierlustigen aus Berlin anlockten.

Ausflugsziel und Luftkurort

Raus ins schöne Tempelhof!

Ab 1825 fuhren immer mehr Erholungsuchende nach Tempelhof. Zahlreiche Biergärten und Gaststätten entstanden. Das kleine Dorf lockte mit vielen Aktivitäten: Gäste konnten auf den Bauernhöfen Kaffee kochen oder Milch trinken. Schon seit 1800 galten hier lockerere Regeln als in Berlin: Im Dorfkrug durfte bei „Schemels Musikdienstag“ offiziell geraucht werden. In Berlin war das Rauchen auf der Straße damals noch verboten. Die Zahl der Gäste, die es aus Berlins Mitte ins Grüne zog, überstieg im Sommer sogar die der Ortsansässigen. Als Erinnerung an die Besuche im dörflichen Umland verschickten die Gäste Postkarten der Gaststätten. Neben dem berühmten „Kreideweiß“ gab es beispielsweise auch die „Gastwirtschaft Dittner“ auf der Nordseite des Dorfangers und das „Gasthaus Knoll“ an der Ecke Reinhardtstraße/Alte Dorfaue. 1901 eröffnete Wilhelm Lehnes Sohn das Lokal „Helwig“, das direkt gegenüber dem Kreideweiß’schen Haus lag. Weil Lehne selbst oft zu Gast war und in ganz Tempelhof bekannt, nannten die Gäste ihn oft scherzhaft „Vater Lehne“ als Gegenpol zur berühmten Wirtin Auguste „Mutter Kreideweiß“.

Die Dynastie „Kreideweiß“

An der Stelle des mittelalterlichen Dorfkrugs entstand 1828 die spätere Gaststätte der Familie Kreideweiß direkt am Dorfanger. Der Dorfkrug stand ab 1375 an diesem Standort an der Dorfstraße 13 und vereinte in sich eine Gaststätte und einen Bauernhof. Für das Grundstück mussten die Pächter besondere Abgaben leisten: 1446 kostete die Pacht 6 Groschen und ein Pfund Pfeffer, was für die damalige Zeit eine hohe Summe darstellt. 1748 und 1827 brannten die Nachfolgebauten des Dorfkrugs ab. Ab den 1830er Jahren besaß die Familie Kreideweiß den Grund und führte dort ihren berühmt gewordenen Gasthof. Viele Jahre galt das „Kreideweiß“ als das Ausflugsziel schlechthin. Selbst Kaiser Wilhelm II. und sein Gefolge kehrten dort ein. Um die Besitzerin Auguste „Mutter Kreideweiß“ rankten sich zahlreiche Geschichten und Anekdoten: Sie war für ihre Kochkünste und ihr Durchsetzungsvermögen bekannt. Einem Kellner, der heimlich ein Stück Braten klaute und das Festessen in seiner Jackentasche verstaute, schüttete Mutter Kreideweiß angeblich direkt Bratensoße hinterher.

„Schön is et bei Kreideweiß.“

Um 1900 wird das „Kreideweiß“ zu einem „Etablissement“. Immer mittwochs fand ein Gala-Tag statt. Eine Kegelbahn, ein großer Tanzsaal und ein Vergnügungspark kamen dazu. Zur Jahrhundertwende entstanden zahlreiche Lieder über die Vororte und Ausflugsziele im Berliner Umland. Auch Tempelhof und das „Kreideweiß“ wurden besungen. Eines dieser Lieder stammte aus der Feder von Eugen Philippi, der auch die „Rixdorfer Polka“ verfasste. In seinem Text von „Mittwochs mache ick mir tof“ heißt es: „Mittwochs mache ick mir tof, fahre raus nach Tempelhof. Ob es kalt is oder heiß, schön is et bei Kreidweiß. Ja, da tanzt sich’s angenehm und verkehrt die feinste Creme.“ Doch nicht nur die zahlreichen Gasthöfe zogen Scharen an: Die angrenzende Pferderennbahn im heutigen Mariendorf sorgte sogar für internationale Gäste. Der Verkauf des Tempelhofer Feldes durch die Bauernfamilien an das preußische Militär lockte hochrangige Gäste ins Dorf, darunter Kaiser Wilhelm I., Generalfeldmarschall Helmuth von Moltke oder Reichskanzler Otto von Bismarck.