Weshalb war hier früher Wasser? Die geologische Lage Tempelhofs ist spannend. Früher war die Landschaft hier von vielen kleinen Wasserlöchern durchzogen. Hier erfahrt ihr mehr zur Eiszeit und zum Tempelhofer Boden.
„Boden mit Migrationshintergrund“
Auf in den Untergrund! Zwei Geologie-Expertinnen im Gespräch: Ulrike Hörmann und Dr. Beate Witzel sprechen über Steine mit Herkunft, hunderte Meter dicke Eisschilde und wofür wir den Eiszeiten dankbar sein können.
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W: „Ich bin Beate Witzel und warte hier auf meine Freundin Ulrike Herrmann. Wir wollen uns hier am Reinhardt-Platz über die Geologie von Tempelhof unterhalten. Mit Ulrike ist so was immer ganz spannend, denn sie ist studierte Geologin und von der Landesgeologie. Sie kennt sich einfach super gut aus. Ach, da kommt sie ja schon. Hallo Ulrike!“
H: „Hallo Beate. Schön, dich zu sehen. Ich freue mich, dass du dir die Zeit nimmst und aus der Geologischen Sammlung des Stadtmuseums heute hierher zu unserem Treffen am Reinhardt-Platz kommst. Denn ich wollte dich schon lange mal fragen: was interessiert dich an der Geologie von Berlin am meisten?“
W: „Weißt du, was ich toll finde? Der Boden unter unseren Füßen ist kein Berliner Boden. Sand, Kies, Lehm, Ton, Steine und die großen Findlinge sind erst durch die Gletscher der Eiszeit hierhergeschoben worden. Wir haben also einen Boden mit Migrationshintergrund. Der Boden kommt eigentlich aus Skandinavien. So lässt sich das interpretieren. Durch die weltweite Temperaturabnahme konnten die Gletscher aus Norden von der Polarregion über Skandinavien und im Nord- und Ostseeraum hierher zu uns nach Nord- und Mitteldeutschland vorrücken.“
H: „Wir unterscheiden ja nun drei Eiszeiten hier: die Elster-, die Saale- und die Weichsel-Eiszeit, jeweils mit mehrfachen Vorstößen und Abschmelzen des Inlandeises. Auf ihrer weiten Reiseroute haben die Gletscher beim Vorrücken große Mengen der verschiedenen Gesteine aus dem Untergrund abgeschlirft, in sich aufgenommen und auf ihrem Weg zu uns intensiv zerkleinert und zum Teil richtig fein zermahlen.“
W: „Und nach dem Abschmelzen des Eises blieb das Material hier liegen?“
H: „Wusstest du, dass hier an dieser Stelle diese eiszeitlichen Sedimente 100 Meter mächtig sind? Das heißt, wir müssten 100 Meter tief buddeln, um auf den ursprünglichen Berliner Boden zu kommen. Genau das wurde in der nahegelegenen Bohrung des Berliner Senats erforscht, d. h. auch Berlin würde hier an dieser Stelle eigentlich 40 Meter unter dem Meeresspiegel liegen und wir könnten uns heute nur im Boot oder auf der Luftmatratze treffen, wenn es diese Eiszeiten nicht gegeben hätte. Mensch, den Eiszeiten sei Dank!“
W: „Und Ulrike, was findest du denn so spannend?“
H: „Mich beeindruckt die unglaubliche Ausdehnung und Mächtigkeit der Gletscher. Im norddeutschen Raum waren ehemals ja massige Eisschilde vorhanden, die z. B. in der Elster-Eiszeit eine Mächtigkeit von fast 1000 Metern erreicht haben oder in der Weichsel-Eiszeit zum Beispiel auch noch eine Dicke von 200 Metern erreicht haben, d.h. hätten wir uns im Kaffee in der Kugel des Fernsehturms am Alexanderplatz getroffen, hätten wir gerade noch herausschauen können und auf eine ausgedehnte Gletscherlandschaft geblickt.“
W: „Aber zum Glück gab es ja nicht nur diese drei Eiszeiten, sondern dazwischen wurde es ja auch immerhin wieder warm. Die Temperaturen waren sogar deutlich höher und die Niederschläge stärker als heute. Allerdings dauerten diese Warmzeiten immer nur 15.000 Jahren und die Eiszeit 100.000 Jahre. Also doch eher kalte Verhältnisse?“
H „Das stimmt! In den Warmzeiten änderten sich die Umweltbedingungen kolossal. In der Holstein-Warmzeit entstand nach der letzten Eiszeit im Berliner Raum eine ausgedehnte Seenlandschaft, in der sich u. a. auch Sumpfdeckelschnecken sehr wohlgefühlt haben. Unter weitgehend ruhigen Sedimentationsbedingungen wurden hauptsächlich Tone und Mudden abgelagert, in denen oft massenhaft, zum Teil sogar Bank bildend, diese Sumpfdeckelschnecken vorhanden sind und heute ein wichtiges Berliner Fossil bilden. Davon haben wir eine ganz beeindruckende Probe in der geologischen Sammlung. Diese Schnecke wurde hier in Tempelhof erstmalig gefunden, von dem Geologen Albrecht Kunth. Hier war eine Kiesgrube. Er hat sie dort erbuddelt. Sie wurde nach ihm benannt, die Paludium diluviana Kunth. Und an der Stelle der Kiesgrube steht heute das askanische Gymnasium und ihm zu Ehren wurde dort eine Gedenktafel angebracht. Die kennen bestimmt viele Tempelhofer!“
H: „Mensch, Eiszeiten und Warmzeiten haben in Berlin viele Besonderheiten geschaffen. Wichtig zu wissen ist auch, dass die Weichsel-Eiszeit erst vor ungefähr 11.000 Jahren endete und die Landschaft von Berlin am stärksten geformt hat. Es wurden die Teltower Fläche, auf der wir hier am Reinhardt Platz gerade sitzen, das nördlich anschließende Tal, in dem die Schmelzwasser der Gletscher nach Nordwesten in Richtung Nordsee abgeführt wurden und die Barnim Hochfläche weiter im Norden gestaltet. Geologie ist im Ballungsraum einer Großstadt im Allgemeinen ja wenig anschaulich.“
W: „Aber in Berlin ist es ja ganz anders. Alle Höhen, alle Senken, alle Seen, Tümpel, Teiche, alles wurde von der Eiszeit hier hinterlassen und geschaffen. Und dann haben wir noch diese ganz vielen steinalten Findlinge aus Skandinavien in unserer jungen Stadt – oft mehr als eine Milliarde Jahre alt. Bei vielen Steinen weiß man sogar ganz genau, wo die Gletscher sie abgerissen haben. Man könnte sie Tatsache mit einer Briefmarke bekleben und sagen: Zurück an den Absender!“
H: „Aber bitte nicht alle, obwohl wir natürlich auch noch viele neue Findlinge, vor allen Dingen bei Baumaßnahmen; finden und dann als eiszeitlichen Zeugen schützen. Hier in der Nähe liegt übrigens auch eins dieser Naturdenkmale im Park. Das ist ein Gneis oder ein Migmatit mit einem Volumen von fünf Kubikmetern Gneis.“
W: „Oh, dem gucken wir uns jetzt einfach mal an!“
H: „Aber ja, ab ins Gelände!“
Wo heute Autos parken, Bäume stehen und Räder fahren, gab es noch bis in die frühen 1900er Jahre ein Gewässer. In historischen Karten befindet sich am heutigen Reinhardtplatz eine Wasserfläche, der sogenannte Grundpfuhl. Möglicherweise war das Gewässer Teil eines Grabensystems, das den Sitz der Tempelritter nahe der Dorfkirche schützen sollte. 1905 wurde der Grundpfuhl mit Bodenaushub aufgefüllt. Die Fläche diente in den 1950er Jahren als Marktplatz. Der Name Reinhardtplatz und die nahe Reinhardtstraße gehen auf den Finanzrat Carl Franz von Reinhardt zurück. Er war von 1749 bis 1796 der Eigentümer des Rittergutes.
Der heutige Stadtteil Tempelhof liegt auf dem Teltow. Die Teltow-Hochfläche, das Warschau-Berliner Urstromtal und die Barnim-Hochfläche bilden die charakteristische Oberflächengestalt Berlins und prägen die wichtigsten Naturräume der Stadt. Das Urstromtal ist durch seinen sumpfig-nassen Boden bestimmt. Bei Bauarbeiten in Berlins Mitte ist das oftmals ein Problem. Das Grundwasser ist schnell erreicht, die Grube voll Wasser. Mit blauen oder rosafarbenen Rohren muss das Grundwasser aus den Baustellen abgeleitet werden. Doch der Boden des Teltows unter Tempelhof ist anders beschaffen. Die oberste Schicht vom Teltow stammt aus der Weichsel-Eiszeit, deren Gletscher vor 24.000 Jahren den Berliner Raum bedeckten. Schob sich der Gletscher über Land, riss er Gesteinsmaterial vom Untergrund mit und zermahlte es durch sein enormes Gewicht. Dieser Gesteinsschutt blieb nach dem Abtauen der Eismassen als zumeist ebene Grundmoräne liegen.
Auch Pfuhle sind Überbleibsel der letzten Weichsel-Eiszeit. Brachen vom abtauenden Gletscher große Eiskörper ab, sackte dieses Toteis langsam in den Boden ein und hinterließ nach dem Abschmelzen tiefe Hohlformen in der Grundmoräne. Diese Toteislöcher füllten sich mit Regenwasser zu Pfuhlen. Um 1800 gab es im Bereich um Tempelhof circa 100 Pfuhle, hundert Jahre später waren davon nur noch ungefähr 23 übrig. Ein Grund hierfür liegt im Bau des Teltow-Kanals von 1901 bis 1906. Entweder wurden die Pfuhle direkt in den Kanalverlauf integriert oder verschwanden durch Austrocknung und Auffüllung. Der Teltow-Kanal verbindet den Oder-Spree-Kanal mit der Havel. Der Ausbau des Wasserweges für Warentransport und Berufsschifffahrt brachte die Industrialisierung in die ehemaligen Dörfer und landwirtschaftlichen Orte Tempelhof, Marienfelde und Mariendorf. Zahlreiche Industriezweige wie Straßen- und Tiefbau, aber auch Stahl- und Maschinenbaufirmen siedelten sich in Tempelhof an. Entsprechend der wachsenden Wirtschaft und neuer Arbeitsplätze zog es viele Menschen in den Bezirk.