Wie bewegt man sich durch Tempelhof? Schon im Mittelalter verlief auf der heutigen Strecke des „Te-Damms“ ein vielgenutzter Fahrweg. Wo früher Kaufmannsleute nach Dresden fuhren, sind heute Pendelnde zwischen der Innenstadt und dem Umland unterwegs.
„Verkehrsentwicklung über die Zeit“
Auto, U-Bahn, Rad oder doch lieber gleich zu Fuß? Andreas Jüttemann, Stadt-, Verkehr- und Medizinhistoriker aus Berlin, blickt auf die immerwährenden Veränderungen sowie die Frage, wie der Verkehr die Stadt bestimmt und die Stadt den Verkehr.
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Mein Name ist Andreas Jüttemann. Ich bin Stadt-, Verkehrs- und Medizinhistoriker. Der Tempelhofer Damm ist Teil der Bundesstraße 96. Als Fernstraße 96 führte schon zu Zeiten der Weimarer Republik eine lange überregionale Verbindungsstraße von Zittau bis nach Sassnitz auf Rügen.
Ein wichtiger Meilenstein in der Berliner Verkehrsplanung war die Verabschiedung des Straßenausbauplans 1927. Sowohl für den Kraftwagenverkehr als auch für Fuhrwerke und den Radverkehr wurde erstmals ein übergeordnetes Straßennetz für Berlin festgelegt. Auch dazu gehörte der Tempelhofer Damm. Die Planungsneuheit war, sogenannte Schnellverkehrsstraßen einzuführen. Im Jahre 1927 gab es nämlich noch gar keine Vorfahrtsstraßen. 1929 wurde langsam damit begonnen, Vorfahrtsstraßen einzurichten. Also Mitte der 20er Jahre musste noch an jeder Kreuzung angehalten werden, was nur einen sehr langsamen Verkehrsfluss ermöglichte. Diese Überlegung, generell Kreuzungs freie Straßen besser Vorfahrtsstraßen in Berlin einzurichten, war schon relativ alt. Erste Kandidaten für den Umbau waren zum Beispiel die Clayallee in Zehlendorf, die Bundesallee in Wilmersdorf, aber auch die Kantstraße in Charlottenburg. Später kam dann der Tempelhofer Damm in Tempelhof dazu. Ziel war es, die Verkehrsströme auf solchen leistungsfähigen Hauptachsen mit einer sehr großen Aufnahmekapazität zu bündeln. Außerdem sollten die Straßen Querschnitte vereinheitlicht werden. Die Straßenbahn sollte fortan in der Straßenmitte verkehren und möglichst unabhängig vom Kraftverkehr sein. Der Straßenausbauplan von 1927 wurde vom Tiefbauausschuss des Berliner Magistrats beschlossen. Innerhalb der nächsten 15 Jahre sollte jährlich 18 Millionen Reichsmark ausgegeben werden, um entsprechend die Straßen in Berlin auszubauen. Die Weltwirtschaftskrise von 1929 verhinderte aber die Umsetzung für ein paar Jahre. Dennoch kann das Konzept heute als Grundstein für die Straßenverkehrsplanung in Berlin, auch vor allem für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, gesehen werden. 1929 gab es auch utopische Ideen, zum Beispiel Autohochbahnen, also aufgeständerte Autobahnen durch die Innenstadt oder auch in den Radialstraßen wie zum Beispiel am Tempelhofer Damm waren angedacht. Das Netz sollte 50 Kilometer lang werden, aber das Geld gerade in 20er Jahren war knapp und solche utopischen teuren Ideen wurden nicht umgesetzt. Vielleicht zum Glück!
Die Planung für ein übergeordnetes Straßennetz in Berlin dauert nur zwei Jahre, eine für heutige Zeit sehr kurze Planungsdauer. 1950 wurde ein Generalstraßenplan erlassen, der vier Tangenten und einen Stadtring vorgesehen hat und aus diesem Plan entwickelten sich dann die späteren Autobahn- und Hauptstraßenplanungen, vor allen Dingen in Westberlin. Wohnhäuser, die in den geplanten Trassen im Wege standen, wurden kurzerhand als Sanierungsgebiet erklärt und abgerissen.
Die ersten Autobahneröffnung wurden von den Westberlinern frenetisch gefeiert. Erst mit der Studentenbewegung ab 1968 und den ersten fertiggestellten Autobahnabschnitten, die ganze Stadtteile zerschnitten, fragten sich die Berliner mehr und mehr, ob das die Realität ist, die sie sich gewünscht haben. Immer mehr Bürgerinitiativen traten auf den Plan. Es gab Proteste und spätestens ab den 80er Jahren waren Autobahneröffnungen eher große Demonstrationen gegen den Straßenbau als fröhliche Feste, wie noch zu Beginn der Verkehrsplanungseuphorie. Die Ölkrise von 1973 zeigte, dass eine allzu einseitige Abhängigkeit vom Auto gefährlich sein kann. Die Westberliner Verkehrsplaner berücksichtigten stets die Möglichkeit einer baldigen Wiedervereinigung, d.h. alle Straßen, die aus den Außenbezirken auf die Innenstadt führten, sollten später über die Stadtgrenzen hinaus erweitert werden.
42.000 Fahrzeuge nutzten 2020 den Tempelhofer Damm täglich. Er ist Teil der B 96, die das Berliner Zentrum mit dem Umland verbindet. Wo heute Fahrräder, Autos, Busse und Motorräder fahren, herrschte bereits im 19. Jahrhundert reger Handelsverkehr. Die Landstraße zwischen Berlin und Dresden kreuzt seit 1838 den Dorfanger Tempelhof und verläuft weiter nach Süden. An dieser Kreuzung befand sich bereits seit dem Mittelalter der Dorfkrug, dessen wechselnde Betreibende, durch die Lage an der vielgenutzten Verkehrsachse profitierten. Zu Zeiten der Tempelritter stand auf der gegenüberliegenden Seite vermutlich ein Wachturm, der zur Anlage des „Hahnehofs“ gehörte. Der „Hahnehof“ war ein Bauernhof, der als sogenanntes „Vorwerk“ zum Sitz der Tempelritter gehörte, aber außerhalb der Kommende lag. Heute ist der Tempelhofer Damm für viele Zielort oder Durchfahrtsweg und wird sehr stark genutzt. Der Verkehr führt zu Diskussionen und Konflikten, denn Lebensraum und Verkehrsader treffen hier aufeinander und damit auch verschiedene Bedürfnisse der Gesellschaft.
Bereits um die Jahrhundertwende führte der Verkehr auf dem Tempelhofer Damm zu so mancher Beschwerde. Hier waren es jedoch eher die Tagesgäste auf Ausflügen, die es den arbeitenden Ortsansässigen schwer machten: „Sechzig bis hundert Wagen besetzten die Passage am Krug und wehe dem, der etwa mit einem beladenen Erntewagen oder anderm Fuhrwerk passieren wollte […].“ Schon ab 1830 fuhren offene Pferdekutschen aus der Stadt in die umliegenden Dörfer und Erholungsziele im Grünen. Für die Berliner Pferdeomnibusse wurde ab 1847 ein fester Fahrplan eingeführt. Dass insbesondere der Omnibus-Fahrer eine wichtige Rolle hatte, zeigt ein Erinnerungsbericht im „Teltower Kreisblatt“ von 1882. Dort wurde erzählt, dass er neben den Fahrgästen des Busses auch Briefe, Arzneimittel, Fleisch, Zucker und Kaffee transportierte. In den 1870er Jahren waren es vorwiegend Pferdebahnen, die von Kreuzberg aus Tempelhof mit der Stadt Berlin verbanden. Im Winter gab es eine saisonale Besonderheit auf der Strecke: Bei Schneefall wurden anstatt der Pferdewagen Schlitten eingesetzt. Neben der öffentlichen Pferdebahn fuhr auch eine Lazarett-Bahn für verletzte Soldaten zum späteren Wenckebach-Klinikum. Dort befand sich damals das Berliner Garnison-Lazarett II.
Ende des 19. Jahrhunderts hielt eine weitere Innovation Einzug: Die elektrische Straßenbahn und die Erweiterung der Ringbahn verbanden nun das Stadtzentrum Berlins mit Tempelhof. Erst 1929 erreichte der U-Bahn-Bau den Bahnhof Tempelhof. In den 1960er Jahren folgte der Anschluss nach Alt-Mariendorf. Heute setzen sich Initiativen für Klima- und Umweltschutz neben dem ÖPNV vor allem für eine radfreundliche Stadt ein. Der Te-Damm ist hierbei ein großes Infrastrukturprojekt. Bis 2030 sollen durch das 2018 beschlossene Berliner Mobilitätsgesetz insgesamt 100 Kilometer Fahrradwege in der Stadt entstehen. Antrieb und Leitbild von Initiativen ist hierbei die „Vision Zero“, das Senken der Zahl schwerverletzter oder getöteter Verkehrsopfer. Mit einem Konzeptvorschlag setzen sich Menschen dafür ein, Berlins Verkehr klimafreundlicher und sicherer zu gestalten. Um den Güterverkehr und Warenströme dennoch zu gewährleisten, werden ökologische Alternativen für die Zustellungen konzipiert: Lastenräder, Packstationen, aber auch Ladezonen für motorisierten Lieferverkehr, sind nur einige der angedachten Möglichkeiten.